„DIE SCHIRN IST DAS GEGENTEILUNSERES GEGENENTWURFES DER ‚DRUCKEREI FÜR ALLE‘ „

Pressemitteilung vom 24.06.2024

Am 7. Juni 2024 verkündete der Planungsdezernent der Stadt Frankfurt Marcus Gwechenberger, die Kulturdezernentin der Stadt Frankfurt Ina Hartwig, Hessens Wissenschaftsminister Timon Gremmels sowie der Direktor der Schirn Sebastian Baden, dass die Schirn interimsmäßig für die nächsten drei Jahre in die alte Druckerei einziehen wird, während das jetzige Gebäude der Schirn saniert wird. Die Stadt investiert dafür ca. 1,5 Millionen Euro in eine sog. Pinselsanierung des Gebäudes. In die ersten drei Stockwerke sollen Ausstellungen der Kunsthalle Platz finden, in der obersten Etage soll Platz für Ateliers sein.

Das Kollektiv „Die Druckerei“ hatte im vergangenen Jahr die Dondorf-Druckerei in Bockenheim zweimal besetzt. Das Kollektiv forderte ein Abrissmoratorium und legte ein Nutzungskonzept für ein Kulturzentrum in der Druckerei vor. Das Kollektiv wollte „Die Druckerei für Alle“ gestalten, es sollten Ateliers, Ausstellungsräume und Begegnungsorte entstehen. Jule Liebig vom Kollektiv dazu: „Wir kritisieren den Einzug der Schirn stark. Die Schirn verfolgt keinerlei partizipatorischen und niedrigschwelligen Ansatz oder kritischen Zugang zu Kunst. Die Schirn ist das Gegenteil unseres Gegenentwurfes, der „Druckerei für Alle“; die wäre niedrigschwellig, gemeinschaftlich organisiert und zugänglich für alle gewesen. Wir sehen unsere Forderungen bezüglich einer bürgernahen, niedrigschwelligen Nutzung durch die Anwohner*innen des Stadtteils und der gesamten Stadt als unerfüllt, begrüßen aber trotzdem die Sicherung des Erhaltes des Gebäudes. Dieser Erfolg ist zu einem entscheidenden Teil den Besetzungen und dem dadurch angestoßenen Diskurs zu verdanken.“

Nicht nur das Kollektiv bemängelte mehrfach, dass es zu wenig Selbstverwaltete Räume gebe, insbesondere für die freie Kunst- und Kulturszene. Der Kritik schlossen sich weitere Gruppen und Vereine an.
Auch die Frankfurter Gesellschaft für Neue Musik (FGNM e.V.) war zuletzt Teil des Kampfes um die Druckerei und forderte die Nutzung als Selbstverwaltetes Kulturzentrum. Zacharias Faßhauer von der FGNM zu den neuen Nachrichten sagt folgendes: „Natürlich freuen wir uns erstmal darüber, dass mit der Schirn nun eine Akteurin in die Dondorf Druckerei einziehen soll, die das Kunstleben in Frankfurt auch aktiv gestaltet. Allerdings scheint die Stadt noch immer nicht verstanden zu haben, dass der wichtigste künstlerische und kulturelle Austausch über die freie Szene stattfindet, denn während die großen kulturellen Einrichtungen den Anforderungen eines breiten Publikums und einer kuratorischen Verpflichtung einem künstlerischen Erbe gegenüber gerecht werden müssen, besitzt allein die freie Szene durch ihre Unabhängigkeit die Spontanität und Flexibilität auf aktuelles und lokales Zeitgeschehen direkt zu reagieren und Kooperationen mit kleinen, spezifischen Initiativen mit konkretem Projektbezug einzugehen.

Die freien Szenen in Frankfurt haben ausnahmslos Raumprobleme, junge Künstler*innen, die ihre Ausbildung an der HfMDK, der Städelschule oder der HfG abgeschlossen haben, verlassen Frankfurt, da sie hier keine künstlerische Perspektive sehen, oder müssen ihre künstlerischen Tätigkeiten zugunsten von Lehrstellen auf ein Minimum zurückfahren. Es reicht nicht, dass die Schirn auch mal ein Projekt mit jungen Künstler*innen schaffen. Frankfurt braucht Räume, in denen unabhängige, freie Künstler*innen, Musiker*innen, Theaterschaffende etc. das frankfurter Kunst- und Musikleben regelmäßig und weitgehend gestalten können. Es braucht Räume in denen der kontinuierliche Diskurs von Künstler*innen aller Sparten, Akteur*innen aus der Gesellschaft und dem Publikum die Grundlage ist. In den Planungen für den Kulturcampus sind aber Räume zur Nutzung durch freie Szene noch immer nicht vorgesehen. Ohne Gestaltungsräume aber müssen wir uns darauf einstellen, dass Kunst- und Musikleben in Frankfurt langfristig ihre Aktualität, Publikumsnähe und Vielfältigkeit noch weiter bis zur Nichtexistenz einbüßen.“

Nach der zweiten Besetzung im Dezember 2023 zog sich das Max-Planck-Institut im Januar 2024 von seinen Planungen zum Dondorf-Grundstück zurück. Es hatte das Bestandsgebäude abreißen und durch einen Neubau ersetzen wollen, der aber nur äußerlich an das alte Gebäude erinnern würde. Die Max Planck-Gesellschaft hielt dem öffentlichen Druck und der Kritik an ihren Abrissplänen, um dort ihr Institut zu eröffnen, schließlich nicht stand.
In den letzten Monaten hat sich eine große Runde von Initiativen regelmäßig mit Vertreter*innen der Stadt getroffen, um über die gemeinsam zu gestaltende Zukunft der Druckerei und des Kulturcampus zu beraten.

Britta von der Recke vom Offenen Haus der Kulturen zu den neuen Plänen zu den Häusern: „Wir begrüssen den Erhalt des Gebäudes, sind aber irritiert über den Umgang mit uns und mit anderen Initiativen, die sich zum Teil seit Jahren um Zwischennutzungen des immensen Leerstands auf dem Campus bemühen und in den letzten Monaten regelmäßig mit dem Planungsdezernat getroffen, Konzepte vorgestellt und gemeinsam über die Zukunft des Kulturcampus gesprochen haben. Die Nachricht, dass die Schirn nun in die Druckerei einziehen soll, kam daher sehr unerwartet und wir hätten uns gewünscht, dass man uns wenigstens zur Pressekonferenz eingeladen hätte.“

Mit dieser Kommunikationsstrategie dürften sich die Verantwortlichen keinen Gefallen getan haben. Bei den Beteiligten entsteht der Eindruck, die Stadt habe eine Ergebnissoffenheit suggeriert, die es so nie gegeben hat. Aus dem Bekenntnis zur Bürger*innenbeteiligung wird auf diese Weise ein Anlass für Politikverdrossenheit.

Die Initiative Dondorf-Druckerei (IDD) hatte sich im Januar 2023 gegründet, nachdem im Herbst 2022 die Max-Planck-Gesellschaft ihre Nutzungspläne zum Dondorf-Grundstück komplett geändert hatte. Während bis dahin der Erhalt des Gebäudes fester Bestandteil der Pläne nach dem Auszug der Universität war (ein entsprechender Wettbewerb zeigte das), wurde im Herbst 2022 der Ortsbeirat 2 von den Abriss-Plänen überrascht. Die IDD setzte sich dann für den Erhalt des Industrie- und Kulturdenkmals Dondorf-Druckerei ein und konsultierte viele Fachleute, darunter Vertreter*innen der Architects for Future, unterstützte bei der Sondersitzung des Ortsbeirates zu Dondorf einen „Runden Tisch“ und startete eine Petition, die 2024 mit über 3.500 Unterschriften an die Stadt übergeben wurde.

Die Initiative Dondorf-Druckerei bewertet die Nutzung durch die Schirn grundsätzlich positiv, auch wenn sie noch keine Lösung der Stadt Frankfurt für die fehlenden Orte bürgerschaftlichen Engagements zum Beispiel der ersatzlose Wegfall der Bürgerhäuser in Bockenheim und im Westend, sowie die Raumbedarfe für den ortsgeschichtlichen Verein Freunde Bockenheims, für einen angemessenen Erinnerungsort für die Industriegeschichte Bockenheims und für einen Erinnerungsort für die jüdische Unternehmerfamilie Dondorf sowie die mit dem Dondorf-Gebäude verbundene Geschichte und Verfolgung der gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Kräfte (Union-Druckerei) enthält. Auch die spannungsvolle Entwicklung der J.W.Goetheuniversität zwischen Stadt und Land beinhaltet dieses Gebäude, wie nicht nur die jüngsten Auseinandersetzungen zeigen.  Wir erwarten hier eine offensive Politik der Stadt Frankfurt, um bürgerschaftliches Engagement zu stärken und ernster zu nehmen als bisher.

Die Frankfurter Ortsgruppe der Initiative Schwarze Menschen (ISD) zeigt ebenfalls Interesse an Aufbau und gemeinschaftlicher Nutzung eines entstehenden Kulturzentrums in der Dondorf-Druckerei. Eleonore Wiedenroth-Coulibaly meint: „Wir wollten mit einer Bibliothek mit Schwerpunkt auf der Literatur von Schwarzen/afrikanischen und afro-diasporischen Autor*innen, mit Ausstellungen zu Kunst und Geschichte und heutigen Lebensrealitäten Schwarzer Menschen, durch Events zur politischen Bildung, Vernetzung, Community-Arbeit und Jugendarbeit das Zentrum mitprägen. Die Dondorf-Druckerei wäre ein ideales Zentrum für Vernetzung, für das Gestalten von Diversität und für die Entstehung von Synergien gewesen. Soll dieser Traum nun zu Ende sein, bevor er sich überhaupt entfalten konnte? Frankfurt verliert einen Ort für Träume und Visionen, noch ehe er überhaupt entstehen konnte.“